ULAN BATOR - STEREOLITH (CD)

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In der immer karger werdenden Rock-and-Roll-Landschaft der Gegenwart sind und bleiben Ulan Bator ein
Leuchtturm des innovativen Songwritings. Die Band wurde 1993 von Amaury Cambuzat (Gesang, Gitarre und
Keyboards) und Olivier Manchion (Bass) in Paris gegründet. Bis heute hält sie unverrückt an einem atmosphärisch
dichten Kompositionsansatz fest und bringt damit ein ums andere Mal gitarrenlastigen Avantgarde-Rock hervor,
hypnotisierend und ungezähmt zugleich. Dennoch hat sich ihr Sound immer wieder in unterschiedliche Richtungen
entwickelt, oftmals bedingt durch wechselnde Besetzungen oder die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern wie zum
Beispiel den Krautrock-Legenden Faust oder Michael Gira (Swans). Dadurch entziehen sich Ulan Bator jedem
Schubladendenken: das krautige Image, die verspielte Post-Rock-Gitarre, die kosmischen Synthesizer-Klänge, intimes
Flüstern und dröhnendes Schlagzeug, all diese Elemente ziehen sich hörbar durch die nunmehr über zwanzigjährige
Karriere der Band.
Auf dem 2017 zur Veröffentlichung anstehenden Album STEREOLITH setzen Ulan Bator die Tradition des
experimentellen Rock and Roll fort. Allerdings schickt Eckpfeiler und Mitbegründer Amaury Cambuzat seine Musik in
diesem Fall durch ein Gegenwarts-Prisma aus Elektronik und Synthesizern. Die Stücke dieses zwölften Ulan-Bator-
Albums entstanden während der Italien-Tournee mit dem 2016 erschienenen Album ABRACADABRA auf Cambuzats
Laptop. Erst im Anschluss daran wurden im Studio die verschiedenen Schlagzeug-, Bass- und Gitarrentracks eingespielt.
Das Ergebnis ist ein auffallend klarer Sound, der sich erfolgreich vom Klischee der ausufernden und konturlosen Endlos-
Improvisationen absetzt. Aber der vielleicht beeindruckendste und zugleich überraschendste Aspekt des Albums ist seine
Monumentalität. Trotz der relativ kurzen Länge der Songs verbreiten sie eine geradezu erhabene Atmosphäre.
Das längste Stück auf STEREOLITH – und gleichzeitig die offensichtlichste Verbeugung vor dem Genre – trägt
den Titel „NeuNeu“ und endet nach fünfeinhalb angenehm dahin mäandernden Minuten, getragen von der
abenteuerlustigen, an Michael Rother erinnernden Gitarre. Die übrigen Songs dauern meist nicht einmal vier Minuten,
und dennoch gelingt es ihnen von der ersten Sekunde an, eine träumerische Atmosphäre zu schaffen. Ein wunderbares
Beispiel dafür ist der Song „Blue Girls“ mit seiner stimmungsvollen Eröffnung – tiefe, lang anhaltende Pianoklänge,
Gongs und Industrial-Sounds – und dem sich anschließenden, spielerischen Postrock-Groove, erzeugt auf Popol-Vuhartigen
Vamp-Synthesizern. Ein Song, der problemlos auch zehn Minuten Länge verkraften könnte, doch Cambuzat
scheint zufrieden damit, einen endlosen Groove lediglich anzudeuten. Diese Qualität setzt sich auch in dem
herausragenden „Ego Trip“ fort, bei dem Cambuzat französische und englische Textzeilen singt. Die verschiedenen
Melodien des Stückes – Cembalo, Chorus-Bass, Gitarre – verweben sich über einer regelmäßigen Akkordfolge zu einem
wundervollen Teppich. Und über das Dröhnen hinweg rezitiert Cambuzat die verletzenden Worte einer verschmähten
Geliebten. „She said you’re not a star“, singt er. So wird Schmerz in unseren Ohren zu Musik.
An anderer Stelle wiederum lappen Cambuzats englische Texte – ähnlich wie die von Björk oder Damo Suzuki,
die ebenfalls keine Muttersprachler sind – ins Surreale. „I lost myself in a spinach can“, murmelt er etwa in „Spinach Can”
und beschwört damit eine halluzinative Szene aus einem Popeye-Comic herauf. Kurze Zeit später verdüstert sich die
Stimmung durch die Zeile: „I crossed the ocean of tears and blood.“ Nachdem die letzten, klagelied-artigen Klänge des
Schlusstitels „Dust“ verhallt sind, gibt es keinen Zweifel mehr, dass Düsternis, Licht und Absonderliches in Cambuzats
Welt eng beieinander liegen. Sie bilden eine atmosphärisch dichte Ménage-à-trois, die sich gelegentlich über die
Grenzen des guten Geschmacks und der Coolness hinweg wagt. Was erstens dazu führt, dass STEREOLITH sehr viel
interessanter klingt als das meiste, was das Rock-and-Roll-Genre der Gegenwart zu bieten hat, und zweitens zum
wiederholten Hören einlädt. „Am besten hört man diese Musik in einer 3-D-Pyramide, und zwar mitten im Pazifik“, so hat
Cambuzat sich erst kürzlich in einem Interview geäußert. Aber wenn das nicht möglich ist, dann reicht auch Augen zu
und Ohren auf, um tief in das düstere Ulan-Bator-Universum hineingesaugt zu werden.


Tracklist

01 On Fire
02 Stereolith
03 Blue Girl
04 Spinach Can
05 Ego Trip
06 NeuNeu
07 No Book
08 Icarus
09 Lost
10 Dust
 

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